Schwule Geschichten

Meine Eltern, meine ärgsten Feinde

schwule Geschichte

Das Outing bei den Eltern ist wie ein Vabanquespiel. Bei dem einen läuft es absolut problemlos, bei dem anderen endet es in einer Katastrophe. Beim Protagonisten dieser Geschichte liegt das Ergebnis irgendwo dazwischen. Seine Eltern haben ihn nicht aus dem Haus geworfen aber von Toleranz und Akzeptanz ist auch nichts zu spüren. Eine ironische Abrechnung mit den Eltern und ihrer Spießerwelt...
Ja, Elter'n', es mag euch überraschen aber ich lebe mit beiden Elternteilen unter einem Dach. Der geneigte Leser mag dies in Zeiten von Lebensabschnittsgefährten und Patchworkfamilien für Luxus halten, ich persönlich halte es für einen Verstoß gegen die Genfer Konventionen; zumindest in meinem Fall.

Oh, versteht mich nicht falsch, ich mag meine Eltern, vermutlich liebe ich sie auch, da bin ich mir allerdings nicht immer so sicher. Sie haben mich großgezogen und mit allem versorgt was ich zum Leben brauchte. Gaben mir Geborgenheit und waren für mich da, wenn ich sie brauchte.

Aber es gibt ein Thema, da kommen wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner: meine Homosexualität.

In der Mathematik würde man nach dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen suchen aber gerade diese Suche gestaltet sich bei meinen Eltern als nicht so einfach. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen - nur das der Heuhaufen ungefähr die Größe der Insel Grönland hat.

Das Problem fing schon bei meinem Coming Out an.

Gestärkt durch das gute Abschneiden meines besten Freundes Christ - Christ nicht Chris! - mit seinem Coming Out bei seinen buddhistischen New-Age-Eltern, dachte ich bei mir: du tust es auch.

Also ich eines schönen Abend runter ins Wohnzimmer zu meinen Eltern.

»Mama, Papa, ich muss mal mit euch reden.«

»Gleich Schatz, Lindenstraße ist fast vorbei.«

So, nun stand ich im Wohnzimmer, Marke »Eiche rustikal«, wie bestellt und nicht abgeholt. Das Herz schlug mir bis zum Hals und mir war kotz-übel. Zu allem Überfluss hatten sich bei mir auch noch massive Blähungen eingestellt und ich bemühte mich das Wohnzimmer Marke »Eiche rustikal« nicht in »Vorhof zur Hölle« umzugestalten.

Im Fernseher drehte es sich um die Sorgen und Nöte der Bewohner eines deutschlandweit bekannten Straßenzuges. Georg Uecker alias Dr. Carsten Flöter gibt gerade seinem TV-Lebensgefährten Käthe einen Kuss, dann: die Endmelodie. Meine Eltern zeigen keine Reaktion. Weder eine Positive, noch eine Negative. Ein gutes Zeichen denke ich mir insgeheim.

Die Melodie vertönt. Papa schaltet den Fernseher aus. Ich hole tief Luft.

»Mama, Papa, ich bin schwul.«

Einen Moment Stille.

»Aber Schatz, das kannst du uns doch nicht einfach so sagen.«

Ich war wie vor die Stirn geschlagen. Das kann ich ihnen nicht einfach so sagen?

»Das weist du doch noch gar nicht. Du bist nur enttäuscht, weil du noch kein Mädchen gefunden hast. Aber deshalb wird man doch nicht schwul.«

Ich holte tief Luft. Ich war schockiert. Also bitte, ich weis nicht ob ich schwul bin oder nicht? Ich… Aber es kam noch etwas:

»Oder hat dich der Christian angefasst? Bei seinen Eltern und dieser schrecklichen Sekte, bei der die mitmachen ist das ja auch kein Wunder.«

Mir blieb die Spucke weg.

»Erstens heißt er Christ, nicht Christian, das habe ich euch schon tausendmal gesagt und zweitens sind die Eltern nicht in irgendeiner Sekte, sondern sie sind Buddhisten.«

Meine Mutter schaute mich mitfühlend an.

Ich fühlte, dass ich mich nicht mehr lange beherrschen würde können.

»Ich gehe.«

Meine Mutter nickte auf ihre unnachahmliche Art und verzog dabei ihren Mundwinkel, so dass sie besonders mitfühlend aussah.

»Ja Schatz, tu das. Und denk noch mal drüber nach. Du bist ja nicht schwul, dass kann ja gar nicht sein.«

Fluchtartig verließ ich den Raum. Sonst hätte ich vermutlich am nächsten Morgen in allen Zeitungen gestanden: »Homosexueller Sohn erdrosselt Eltern mit bloßen Händen«

Ich versuchte noch mehrfach mit meinen Eltern über das Thema zu reden aber stets mit demselben Ergebnis:

»Das ist nur eine Phase.«

»Warte, bis du mal ein Mädchen kennen lernst.«

»Hattest du denn schon mal was mit einem Mann? Nein? Also, kannst du das nicht wissen.«

Als sie merkten, dass diese Argumente bei mir nicht auf fruchtbaren Boden fielen wurden schwerere Geschütze aufgefahren:

»Was haben wir nur falsch gemacht?«

»Du gönnst uns wohl keine Enkelkinder?«

»Was haben wir getan, um das zu verdienen?«

Eines Freitag-Abends kam es zum Eklat:

Meine Mutter hatte das Essen aufgetragen. Natürlich Fisch, schließlich isst man in einer gesitteten katholischen Familie am Freitag ausschließlich Fisch. Würde man den Sinn dieses Brauches auf die heutige Zeit übertragen, so müsste es zwar Pommes Majo Currywurst geben aber einen lebendigen Dialog mit dem Glauben gibt es in der katholischen Kirche natürlich nicht. Wo kämen wir denn da hin? Sodom und Gomorra!

Gut, wir hatten also Fisch.

Stumm saßen wir am Küchentisch und »genossen« unser Mahl. Das selbe, wie jeden Freitag seit meiner Geburt. Vermutlich hatte meine Mutter dieses Gericht bereits in ihrer Kindheit jeden Freitag gegessen. Wertkonservativ nennt man so was wohl.

»Mama, ich gehe heute Abend mit Christ auf eine Party.«

Meine Mutter schaute mich an.

»Auf so eine Homo-Feier?«

Eigentlich wollte ich mit Christ auf den Geburtstag einer gemeinsamen Freundin aber diese »Homo-Feier« ging mir schon quer den Hals runter.

»Wenn du es genau wissen willst, ja.«

Ich schaute sie trotzig an. Zumindest bemühte ich mich trotzig auszusehen.

»Kind, warum gehst du immer auf so Feiern? Die schütten dir da Drogen ins Glas und dann bekommst du Aids und so.«

Aids und so?! So sprach die pure Unwissenheit.

»Die schütten mir da keine Drogen ins Glas, Mama. Das ist eine 'urban legend'.«

Meine Mutter schaute mich an, ihr Blick hatte etwas Schafartiges an sich.

»Sprich Deutsch mit mir, Schatz.«

»Stadtlegende, Mama.«

Sie winkte ab.

»Und was ist, wenn dich da jemand sieht? Stell' dir mal vor deine Freunde erfahren davon.«

»Stell' dir mal vor, Mama, die meisten meiner Freunde wissen, dass ich schwul bin.«

Entsetzt schlug sie die Hände vor den Mund. Ich muss gestehen, dass ich in dem Moment so etwas wie Triumph empfand.

»Kind, so was kannst du doch nicht einfach rum erzählen. Was denken die Leute denn jetzt von uns?«

Ich begann ernsthaft sauer zu werden.

»Was sie von MIR denken ist mir ziemlich egal.«

»Schatz, du willst doch mal was Anständiges werden. Überleg' dir doch mal, was du dir alles verbaust, wenn du weiter daran festhältst einer von diesen Homos zu sein.«

»Mama, als Schwuler kann man heutzutage alles werden. Es gibt schwule Bäcker, Tischler, Bauern, Polizisten und sogar Politiker.«

Sie blickte mich wieder mitleidsvoll an.

»Aber Schatz, das ist doch nur im Fernsehen so. Schau dir doch mal deinen Onkel Heinrich an, mit dem will keiner mehr was zu tun haben.«

Ja, das leidige Thema Onkel Heinrich. Auf jeder Familienfeier wurde sich stundenlang und mit wachsender Begeisterung das Maul über Onkel Heinrich zerrissen.

Onkel Heinrich war nicht verheiratet und lebte in einer Junggesellen-WG. Das reichte um ihn als schwul abzustempeln. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht schwul ist. Es sei denn er arbeitet als schwule Putzfrau im Bordell am Bahnhof.

»Ihr wollt mit ihm nichts mehr zu tun haben. Die meisten Leute sehen das anders.«

Wieder dieser mitfühlende Hundeblick.

»Schatz, das darfst du nicht glauben, das versuchen sie dir auf diesen Homo-Sekten-Feiern weiszumachen mit ihren Hirnwäschemethoden.«

Jetzt waren Schwule schon eine Sekte mit Hirnwäschemethoden.

»Geht's dir noch gut?«

»Schatz, in zwanzig Jahren, da werden Schwule vielleicht akzeptiert aber heute ist das noch verdammt schwer. Ich möchte doch nur, dass du weist auf was du dich einlässt, wenn du da mitmachst.«

»Mama, ich sage doch nicht, dass alles Zuckerschlecken ist. Ich habe mir nicht ausgesucht schwul zu sein - ich bin es einfach und ich werde mein Leben leben und mich nicht verstecken.«

Rationale Erklärungsversuche.

»Wenn du wüsstest; die Welt kann so grausam sein.«

Wenn ich wüsste? Langsam aber sicher bin ich davon überzeugt, dass ich mehr von der Welt verstehe als sie.

»Du lebst hinterm Mond, Mama. In meiner Generation haben die meisten kein Problem mit Schwulen.«

»Beschimpf mich nicht, Stefan. Ich habe immer noch mehr Lebenserfahrung als du und die werde ich auch immer haben.«

Nun meldete sich auch mein Vater zu Wort, dass erste Mal seit meinem Coming Out:

»Genau, beschimpfe deine Mutter nicht, das hat sie nicht verdient.«

Genau jetzt wusste ich, dass es keinen Sinn haben würde mit meinen Eltern darüber zu reden. Sie hatten ihre eigene Weltanschauung und würden davon keinen Femtometer abweichen.

Seitdem haben wir eine Art Waffenstillstand. Sie haben eingesehen, dass sie mich nicht von meiner Homosexualität abbringen können, wie gut ihre Argumente auch, ihrer Meinung nach, sein mögen und ich habe eingesehen, dass ich eine liberalere Einstellung nicht zu erwarten habe.

Ist es nicht wunderbar, wenn Eltern einen fundamentalen Teil seines Selbst nicht akzeptieren wollen?

Ich könnte mich stundenlang aufregen aber das wollt ihr vermutlich nicht mit anhören.
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Kommentare (2)
  • Eins merk ich gerade: Ich habe Glück mit meinen Eltern

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  • Oh Gott. Coole Geschichte. Leider soooo realitätsnahe, dass ich schon wieder sauer auf diese Eltern werde.

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