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Der Junge, der eine Tochter sein sollte

seit 05.06.14 im Kino

iBoys Magazin ©Concorde Filmverleih GmbH
Coming-out mal anders: "Maman und ich" ist der Überraschungserfolg des französischen Kinos. Die Identitätssuche mit einer guten Portion Humor gewann den französischen Cesar für den besten Film.
Über die Sexualität von Guillaume Gallienne scheint jeder besser Bescheid zu wissen als er selbst. Weil er sich nicht wie seine Brüder für Sport interessiert, muss er wohl anders sein als andere. Und weil er als Kind eine unschuldige Vorliebe für Frauenkleider hat, ist das Verhältnis zum Vater gleich völlig dahin. Unter Mitschülern gilt Guillaume eindeutig als schwul, sogar seine Mutter ruft allabendlich „Jungs und Guillaume, kommt zu Tisch!“. Künstlerische Selbsttherapie Dieser entscheidende Satz seiner Kindheit inspirierte den französischen Schauspieler und Comedian zum Titel eines autobiographischen Theaterstücks, dessen Kinoadaption unter der etwas simpleren Umbenennung „Maman und ich“ nun auch in Deutschland zu sehen ist. Gegenüber der Bühnenvorlage verzichtete Guillaume Gallienne, den man hierzulande aus Filmen wie „Marie Antoinette“ oder „Yves Saint Laurent“ kennt, für die Kinofassung jedoch darauf, alle Rollen selbst zu spielen. Winken ist schöner als Sport machen: Guillaume Gallienne übersteht seine Internatszeit mehr schlecht als recht. Der Blick seines Kommilitonen spricht Bände. Keine One-Man-Show also, zumindest nicht vor der Kamera. Drehbuch, Regie und Produktion übernahm er hingegen nahezu im Alleingang. Und er spielt nicht nur sich selbst (und zwar in allen Lebensabschnitten!), sondern auch seine eigene Mutter. Eine Doppelrolle, die irgendwo zwischen Narzissmus und Drag-Show ganz gehörig gegen die Wand hätte laufen können, aber von Gallienne so präzise wie glücklicherweise nicht auf reinen Ulk abzielend gespielt wird. „Maman und Ich“ handele davon, „wie ich zu meiner Mutter werden musste, um ich werden zu können“, erklärt Gallienne seine künstlerische Selbsttherapie. Was zunächst sonderbar anmuten mag, erschließt sich aus dem hier frei erzählten, fast assoziativ wiedergegeben Leben von Guillaume Gallienne ganz allein. Denn sein Verhältnis zur Mutter hat ihn persönlich und beruflich entscheidend beeinflusst. Die dominante Maman (ebenfalls von Guillaume Gallienne gespielt) nimmt die potenziellen Liebhaber ihres Sohnes ganz genau unter die Lupe. Der heutige Kino- und Theaterstar habe die manierierte, leicht verbrämte Art seiner Mutter seit jeher zu imitieren versucht, sagt er. Und aus seiner Faszination für sie überhaupt erst den Wunsch entwickelt, Schauspieler werden zu wollen. Sein Film ist, auch wenn es nicht danach klingt, weder schwermütig noch psychoanalytisch zermürbend, sondern ganz nach Art der lockerleichten Feelgood-Komödie entworfen, wie sie seit „Ziemlich beste Freunde“ Hochkonjunktur hat. Mama, ich bin hetero! Dass Gallienne in der Aufarbeitung seiner Erfahrungen aus Kindheit und Jugend noch einmal in die Rolle der Maman schlüpft, ist auch als Ausdruck einer Versöhnung mit der eigenen Lebensbiographie zu verstehen. Es ist eine persönliche Liebeserklärung an die Mutter ebenso wie an jene Frauen, die ihm stets näher waren als gleichaltrige Jungs in der Schule oder dem katholischen Internat, auf das ihn sein Vater (André Marcon) höchst besorgt schickt. Verzichtbare deutsche Gastrolle 1: Bond-Bösewicht Götz Otto als Masseur. Des Vaters Verzweiflung über das „feminine“ Verhalten seines Sohnes ist Gallienne jedoch ein Rätsel. Statt ihn sich selbst finden zu lassen, fällt sein Umfeld vorschnell Urteile. Die Versuche, eine sexuelle Identität zu entwickeln, empfindet Gallienne hier überaus augenzwinkernd nach. Zunächst ist er fest davon überzeugt, ein Mädchen zu sein, geboren im falschen Körper. Dann glaubt er wiederum, vielleicht doch einfach nur auf Jungs zu stehen. Und macht die Probe aufs Exempel. Zu den besonders absurden Stationen der Handlung zählen dann Militärmusterung und der Besuch eines Schwulenclubs, in dem Gallienne genauso verloren wirkt wie auf dem Cricket-Feld seines englischen Internats. Allerdings übertritt der Film dabei während des letzten Drittels auch einige Male die Grenze zu peinlichen Zoten, als scheue er seine eigene Thematik und müsse sie mit Albernheiten auflockern. Verzichtbare deutsche Gastrolle 2: Troja-Schönheit Diane Krüger als „Ingeborg“. So absolviert Götz Otto einen abgeschmackten Gastauftritt als durchtrainierter Masseur eines Kurhotels, in dem zu allem Überfluss auch noch „unsere“ Diane Krüger arbeitet. Sie führt beim armen Gallienne eine Darmspülung durch, was ebenso bemüht komisch wie deplatziert wirkt. Da fühlt sich „Maman und Ich“ plötzlich ganz schrecklich dödelig-deutsch an. In all diesen Situationen erscheint dem überforderten jungen Mann immer wieder seine Mutter, die das Geschehen lakonisch kommentiert und wie eine gute, wenn auch letztlich beschwerende Seele über den Dingen steht. Auch sie hält ihren Sohn natürlich unmissverständlich für schwul, obwohl er das nie gesagt hat. Und es – wie sich schließlich noch herausstellen wird – auch überhaupt nicht ist.
Fazit Wenn die eigene Mutter einen ganz selbstverständlich für schwul hält, man von Klassekameraden schikaniert und wiederum anderen gleich für eine Frau gehalten wird, kann das mit der Selbstfindung schon mal etwas schwierig werden. Der französische Komiker Guillaume Gallienne hat diese Erfahrungen zu einem autobiographischen Theaterstück verarbeitet, das auch die Grundlage für sein Regiedebüt „Maman und Ich“ bildet. Zwar erhebt Guillaume Gallienne, der nicht nur sich selbst, sondern auch die eigene Mutter spielt, nie den Zeigefinger (dafür wirkt sein Film auch viel zu bekömmlich), aber er führt heteronormatives Schubladendenken ebenso entschieden wie zuweilen auch amüsant vor. Sein heterosexuelles „Coming-out“ scheint deshalb wohl unverzichtbar in einem Umfeld, dessen Homophobie zu nichts anderem als Realitätsverlust führt. In Frankreich erwies sich „Maman und Ich“ als einer der größten Kinohits des vergangenen Jahres und gewann auf der César-Preisverleihung die wichtigsten Kategorien für sich. Dass der Film ohne Drag-Ulk à la Eddie Murphy oder Martin Lawrence auskommt, ist löblich. Seinem Thema wird er aber leider trotzdem nicht immer gerecht und begibt sich im albernen Schlussdrittel gar in die Nähe überflüssigen Pipi- und Kacka-Humors.

Maman und ich

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©dpa/gamona
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